Wer ist bei meinem Kunden am Einkaufsprozess beteiligt? Wie sieht meine Beziehung zu dieser Person aus? Welche Rolle nimmt mein Ansprechpartner ein? Welche Themen beschäftigen ihn?
Diese Fragen und die zugehörigen Antworten bilden einen kleinen Teil der Themen ab, mit denen sich Vertriebsmitarbeiter/-innen im täglichen Geschäft auseinandersetzen. Die Literatur zu Kaufentscheidungsprozessen im B2B- oder B2C-Bereich ist Legion und bietet Stoff für unzählige monothematische Blogs. In diesem Artikel möchte ich den Fokus auf ein kleines, aber wichtiges Thema legen, mit dem in einigen Vertriebsorganisationen noch meist intuitiv umgegangen wird, obwohl der Verkaufserfolg durch ein Bewusstmachen maßgeblich beeinflusst werden kann.
Das sogenannte „Buying Center“ bezeichnet die Gesamtheit der Personen, die am Einkaufsprozess innerhalb eines Unternehmens beteiligt sind. Aufgrund anderer Entscheidungsprozesse beim Kauf durch Endkonsumenten (Business-to-Consumer) wird dieses Thema mit der Kauforganisation zwischen Unternehmen, also dem Bereich Business-to-Business, verbunden. Es wird hierbei unterstellt, dass an einem Einkaufprozess a) mehrere Personen beteiligt sind und b) diese unterschiedliche Rollen einnehmen. Die Kenntnis des Buying Centers ist jedoch nicht nur für den Vertrieb essenziell, sondern besitzt auch große Bedeutung für das Marketing. Die zielgerichtete Ansprache mit dem auf den Empfänger zugeschnittenen Inhalt ist Kerndisziplin des Content Managements – auch hier kann das Buying Center wertvolle Erkenntnisse liefern.
Rollen des Buying Centers
Ein klassisches Buying Center unterscheidet meist fünf verschiedene Rollen, die die am Einkaufsprozess Beteiligten einnehmen:
- Anwender (User) – diese Personen benutzen das eingekaufte Produkt oder den Service im Arbeitsalltag. Als Repräsentant der Fachabteilung und derjenige, der „mit dem Ergebnis des Einkaufvorgangs leben muss“, kommt dem User besondere Bedeutung zu. Für den Anwender steht klar der Nutzen während der täglichen Arbeit im Vordergrund.
- Einkäufer (Buyer) – tun genau dies, sie kaufen ein. D.h. sie bilden die organisatorische Einheit, die Angebote einholen, bewerten und vergleichen. Auch die Preisverhandlung fällt in aller Regel in das Ressort des Einkaufs. Für den Vertrieb die Personengruppe mit der am häufigsten Kontakt besteht. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Einkauf auf Grundlage der Fachabteilung tätig wird, dabei aber durchaus auch Entscheidungskompetenz besitzen kann (siehe unten). Naturgemäß ist der Einkauf äußerst preissensitiv.
- Einflussnehmer (Influencer) – ist im Vergleich eine eher informelle Rolle. Der Influencer kann in unterschiedlichsten Abteilungen sitzen, sein Input ist jedoch zumindest bei Neuprodukten oder größeren Projekten immer Bestandteil des Prozesses. Influencer können z.B. Mitarbeiter/-innen im Bereich Qualität, Arbeitssicherheit & Umweltschutz (SHEQ) sein.
- Entscheidungsträger (Decider) – fällen die Einkaufsentscheidung. Sie besitzen häufig die Budgetverantwortung und sind im Management verortet. Es ist aber auch durchaus üblich, dass z.B. der Einkäufer auch simultan die Rolle des Entscheidungsträgers einnimmt.
- Informant (Gatekeeper) – der Gatekeeper stellt den Informationsfluss zwischen den Rollen sicher. Assistenten oder ähnliche Stabsfunktionen finden sich regelmäßig in dieser Rolle wieder. Während die anderen Rollen meist sehr klar identifiziert werden können, ist die Ortung des Gatekeepers – sofern vorhanden – schwieriger.
Wenn im Vertrieb die aufgeführten Rollen mit Namen gefüllt werden können, ist bereits ein wesentlicher Schritt getan. Vertriebsmitarbeiter, die bereits eine längere Geschäftsbeziehung mit dem Kunden pflegen, werden aus der Erfahrung heraus einschätzen können, wie die Rollen besetzt sind. Ansonsten ist es durchaus möglich, direkt nach den „am Einkaufsprozess beteiligten Personen / Funktion“ zu fragen. Auf diese offene Frage wird man bereits zumindest die Abteilungen erhalten, die mitwirken. Die jeweiligen Repräsentanten sind im nachfolgenden Schritt relativ einfach zu identifizieren.
Beziehungen untereinander – Aufmerksamkeit ist gefragt!
Schwieriger aber umso wichtiger ist es, die Beziehungen der Personen untereinander und deren Interessen herauszuarbeiten. Mögen die Interessen zumindest im ersten Ansatz den klassischen Rollenprofilen entsprechen (z.B. „Buyer – möchte Produktversorgung gemäß Spezifikation zum Best Price zum Zeitpunkt X sicherstellen“), so ist die Beziehung untereinander eigentlich nur über Beobachtung und Erfahrung einschätzbar.
Es existieren im Netz zwar viele gutgemeinte Fragelisten als Anregung, meiner Meinung nach schießen diese jedoch häufig über das Ziel hinaus, da es sicherlich einfacher ist, sich eine spannende Frage auszudenken als diese zu beantworten. Was jedem möglich sein sollte, ist es situativ angemessen nachzufragen und in gemeinsamen Besprechungen auf die Dynamik zwischen den Personen zu achten. Bei wiederkehrenden Geschäftsvorfällen bzw. Stammkunden wird sich aus der Summe der Beobachtungen im Laufe der Zeit ein recht klares Bild ergeben. Es ist daher wichtig, die Identifikation des Buying Centers nicht als einmalige Angelegenheit zu sehen, sondern als kontinuierliche Aufgabe im Rahmen der Kundenbetreuung. In den gängigen CRM-Lösungen wie SAP CRM oder Salesforce finden sich für das Mapping des Buying Centers reservierte Bereiche. Jedoch ist eine Aufzeichnung auch jederzeit ohne große IT-Lösung möglich.
Last but not least möchte ich auf eine Dimension eingehen, die sich in der Praxis als äußerst relevant herausgestellt hat, die in der Literatur im Vergleich zu Rolle und Beziehung eher nachrangig behandelt wird. Es ist von großem Wert, sich bewusst zu machen, welche Beziehung man selbst zu den Personen / Rollen hat bzw. welche Position gegenüber dem Unternehmen eingenommen wird. Hier mag das persönliche Empfinden ein Anhaltspunkt sein, jedoch rate ich das Thema Kundenzufriedenheitsbefragung auch unter diesem Aspekt zu sehen. Im Artikel zum Thema Net Promoter Score findest Du ein Beispiel für eine Befragungsmethodik. Wenn das Buying Center mit Rückmeldungen aus solchen Befragungen angereichert wird, verfügt man über eine Transparenz auf Kundenseite, die sprichwörtlich Gold wert ist.

Was nun?
Ich empfehle, sich mit diesem Instrument vertraut zu machen. Eine einfache Übung könnte z.B. sein, für ein gewonnenes und ein verlorenes Projekt jeweils das Buying Center im Nachgang festzustellen. Welche Rollen wurden durch welche Personen eingenommen? Welches Verhältnis hatten diese untereinander bzw. zu mir / meinem Unternehmen? Ich würde wetten wollen, dass sich allein in der Informationsdichte Unterschiede zwischen Erfolg und Misserfolg erkennen lassen. Ferner wäre es für Dich interessant zu wissen, ob und wie in Deinem Unternehmen Buying Center erfasst werden. Nutzt ihr ein CRM-System oder andere Formen, um diese Art der Informationen zu sichern?

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