In Studien wird der Anteil der gescheiterten Produkteinführungen je nach Branche regelmäßig mit 60 – 90% beziffert*, wobei „Scheitern“ in der Regel bedeutet, dass das Produkt bei weitem nicht die ursprünglichen Erwartungen erfüllt oder spätestens nach einem Jahr wieder vom Markt verschwunden ist. Bedenkst Du die immensen Ressourcen, die mit einer gescheiterten Einführung verbunden sind, ist die große Verantwortung, die sich aus der Rolle des Produktmanagements ergibt, offenkundig.
Die gute Nachricht ist, dass unabhängig vom Autor der Studie grundsätzlich dieselben Faktoren für Erfolg oder Misserfolg identifiziert werden. Die zweite gute Nachricht ist, dass Du auf eine Vielzahl dieser Faktoren Einfluss besitzt.
Gründe des Scheiterns
Die Gründe für oben beschriebene Situation lassen sich grob wie folgt zusammenfassen:
- Management
Von Befragten werden regelmäßig mangelnde Rückendeckung durch das Management bzw. falsche Entscheidungen (auch aufgrund unzureichender Entscheidungsgrundlagen) als wesentliche Gründe genannt. Ersteres lässt sich häufig in Unternehmen beobachten, die ein starkes Gewicht auf kurzfristige Unternehmenserfolge setzen. Hier wird dem Tagegeschäft oft absolute Priorität eingeräumt, was dazu führt, dass sich mit grundlegenden Themen nur zeitlich sehr beschränkt beschäftigt werden kann. Produkteinführung und die entsprechende Marktdurchdringung sind jedoch Themen von mindestens mittelfristiger Natur, die mit Sorgfalt zu bearbeiten sind, so dass es hier zur Kollision mit zeitlich eng getakteten Zielvorgaben kommen kann.
Nach meiner Erfahrung kann an dieser Stelle eine transparente mehrjährige Planung des Portfolios helfen. Zeige zusammen mit dem Vertrieb sowohl für die bereits etablierten als auch für die geplanten Produkte auf, welche Entwicklung Ihr in den nächsten Jahren seht. Hier wird recht schnell deutlich, dass ein gesundes Portfolio ohne eine beständige Einführung von Neuprodukte nicht denkbar ist. Auch hinsichtlich der Entscheidungsgrundlage besitzt Du einen beachtlichen Hebel, da die Aufbereitung von Marktanalysen, Lastenheft und Business Cases zentrale Elemente Deiner Aufgabe sind. Vergegenwärtige Dir, dass eine saubere Analyse und Aufbereitung die Gefahr von Fehlentscheidungen deutlich minimieren!
- Prozesse und Organisation
Gemessen an den Untersuchungen als auch an eigenen Erfahrungen ist es erstaunlich wie selten Unternehmen einen sauberen und funktionierenden Produkteinführungsprozess besitzen. Dies schließt den Umgang mit Innovationsideen als frühe Stufe dieses Prozesses mit ein. Dies ist meiner Meinung nach ein wesentlicher Grund für ein Scheitern, da Produkte mitunter entweder sehr hemdsärmelig oder mit verkopften Abläufen eingeführt werden. Während die Einführung „quick and dirty“ dazu führen kann, dass Funktionalitäten fehlen, Kundenbedürfnisse nicht entsprochen werden oder schlicht das Potential nicht beschrieben ist, wirkt sich ein zu bürokratischer Prozess negativ auf die Produkteinführungszeit („Time-to-Market“) aus. Ferner sind Einführungen immer interdisziplinär und beteiligen viele unterschiedliche Abteilungen wie Entwicklung, Vertrieb oder Marketing – um nur einige zu nennen. Ein unabgestimmtes Vorgehen ohne Beteiligung der richtigen Funktionen zur richtigen Zeit wird zu erheblicher prozessualer Nacharbeit führen. Deshalb nimm Dir unbedingt Zeit für die Erstellung eines durchdachten und effizienten Einführungsprozesses, der die benötigten Schnittstellen einbindet. Ein vernünftiger Prozess im Sinne eines „Stage-Gate-Prozesses“ erlaubt es zudem, Einführungsprojekte mit mangelnder Erfolgsaussicht frühzeitig zu beenden, denn das Vorantreiben einer Einführung ohne Erfolgsaussicht gehört ebenfalls zu den Gründen des Misslingens.
- Kunden
Neben vielen weiteren Themen ist die mit Abstand wichtigste Ursache eines Misserfolgs schlicht darin zu sehen, dass an den Bedürfnissen der Kunden vorbei entwickelt wurde. In diesem Zusammenhang hört man auch häufig von einer fehlenden Marktorientierung zu Gunsten einer Technikorientierung (Stichwort „Overengineering“). Wie kann das passieren? Wir kennen doch unsere Kunden und deren Bedürfnisse, oder?
Leider wird zu häufig nur angenommen, dass man die Wünsche der Kunden kennt, ohne dass hier eine Validierung stattfindet. Überleg Dir für Dein Unternehmen, wo Kundenwünsche systematisch festgehalten, analysiert und in Innovationen bzw. Funktionalitäten übersetzt werden. Du wirst feststellen, dass diese Informationen, wenn überhaupt, nur sehr fragmentiert vorliegen. Ferner wird beispielsweise aufgrund von Kundenbeschwerden auf Kundenbedürfnisse geschlossen, was jedoch notwendigerweise nichts miteinander zu tun haben muss. Auf der anderen Seite vergessen wir, die richtigen Fragen zu stellen. Wie häufig werden Kunden nach den Herausforderungen und Erfolgsfaktoren ihres Geschäftes befragt? Fragen wir im Besuch auch danach, was den Kunden nachts wachhält? Mit den Antworten auf diese und weiterer Fragen kommen wir den Kundenwünschen ein ganzes Stück näher. Beachte jedoch bitte auch, dass grundlegende Innovationen im Sinne von „Game Changern“ natürlich nicht direkt benannt werden. Henry Fords Kunden hätten seiner Ansicht nach schnellere Pferde benötigt und die Käufer der ersten iPhones waren mit ihren Tastaturhandys vordergründig eigentlich auch ganz zufrieden. Um diese wirklich seltenen aber richtungsweisenden Innovationen zu identifizieren, ist neben vielen anderen Voraussetzungen vor allem eine Kultur notwendig, die es erlaubt, sich mit den gewonnenen Informationen absolut vorbehaltslos und kreativ auseinanderzusetzen.
Du hast es in der Hand!
Sofern Du nicht in einem Unternehmen arbeitest, das Veränderung nach Möglichkeit vermeidet, bist Du in einer guten Position! Aufgrund Deiner Rolle sollte es Dir möglich sein, einen Einführungsprozess aufzusetzen, der die wesentlichen Schritte und Schnittstellen angemessen berücksichtigt. Lege Wert auf eine fundierte Marktanalyse inklusive Erhebung der wirklichen Kundenwünsche, um das Risiko für Fehlentscheidungen zu minimieren. In diesem Blog findest Du einige Beispiele, die Dir Anhaltspunkte für eine Adaption bieten sollten.
Zu guter Letzt empfehle ich den Internetauftritt des schwedischen „Museum of Failure“. Im Rahmen eines virtuellen Rundgangs findest Du hier Beispiele für spektakulär gescheiterte Produkte – in jedem Fall amüsant aber auch etwas gruselig…
*Stellvertretend sei z.B. die Studie „FuE-Management: Mehr aus knappen Innovationsressourcen machen“ des IAI Bochum empfohlen.